Chronik

Wir blicken zurück auf mehr als 15 Jahre Geschichte mit bewegenden Projekten und Aktionen, immer mit Herz und Leidenschaft initiiert.


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„Wie gut, dass wir eine Bürgerstiftung haben“

Von Beate Mertmann
„In Haltern gibt es Armut!“ Diese Behauptung des Caritasverbandes traf mich vor gut 30 Jahren ins Mark. Bedürftigkeit: Ja. Das hätte ich sofort geglaubt. Aber doch keine Armut! Caritas-Geschäftsführer Willi Grave blieb bei „Armut“. Ich war Redaktionsleiterin der WAZ in Haltern – und wollte das genau wissen. Das Ergebnis der Recherchen erschüttert mich noch heute, wenn ich wieder einmal sehr nahe mitbekomme: Ja, es gibt Armut in Haltern. Auch in unserer schönen Stadt leben Menschen in Situationen, die sich meist selbst die nächsten Nachbarn nicht vorstellen können. „In so wohlsituiertem Umfeld wie in Haltern versteckt Armut sich. Das verstärkt diese noch“, hatte der Caritasverband erklärt.
 
Damals habe ich in Zusammenarbeit mit allen in Haltern tätigen Wohlfahrtsverbänden die „Adventslichter“-Aktion in der WAZ initiiert. Die veröffentlichten Lebenssituationen von Mitbürgern waren real, aber so verfremdet, dass die Betroffenen nicht erkannt werden konnten:
 
Da konnte sich ein alter Mann kein Hörgerät leisten. Er hatte keine Verwandten, konnte nicht Radio hören, nicht Fernsehen, sich nicht einmal mehr mit seinen Nachbarn unterhalten.
Da wollte eine Rentnerin absolut nicht ins Krankenhaus, obwohl eine Operation dringend erforderlich war. Schließlich kam heraus: Sie hatte keine Nachtwäsche. Sie schlief in alten Kleidern, schämte sich, damit ins Krankenhaus zu gehen. Solche Situationen von Mitbürgern ließen die Halterner nicht kalt, mit ihren Spenden konnte in jedem „Fall“ geholfen werden. Die Aktion lief 14 Jahre lang.
 
Mehr und mehr verstärkte sich der Gedanke, dass diese Aufgabe ein festes Fundament benötigt. Just da erzählte mir der Stiftungsrecht-Experte Dr. Bernd Andrick zufällig von der in Deutschland noch recht jungen Bürgerstiftungsbewegung. Ich war sofort davon begeistert, erzählte weiteren Halternern, die ich als sozial sehr engagiert kennengelernt hatte, von der Idee, hier eine Bürgerstiftung zu gründen. Alle sagten sogleich: Wir sind dabei! Seit dem 1. Juni 2006 gibt es die vom Land NRW als rechtskräftig anerkannte Bürgerstiftung „Halterner für Halterner“. 83 Stifter*innen hatten 250.000 Euro Stiftungskapital zusammengelegt. Das ist selbst im Vergleich zu Großstädten wie Köln sehr viel. Inzwischen sichern schon doppelt so viele Stifter*innen, Spender und Zeitstifter die Arbeit der Halterner Bürgerstiftung.
 
Die Stiftung ist „auf ewig“ angelegt. Um den Anforderungen der Zeit gerecht werden zu können, sind die Ziele von Soziale Hilfe für Jung und Alt, Bildung & Erziehung, Umwelt- und Naturschutz, Heimatpflege, Sport, Kultur bis demokratisches Staatswesen breit gefasst.
 
In den Gremien – Stiftungsvorstand, Stiftungsrat, Stifterforum sind Menschen aus allen Tätigkeitsfeldern vertreten. Es ist halt eine echte „BÜRGERstiftung“. Hinzugekommen sind schon die „Berghilfe Lavesum“, die „Alexander-Lebenstein-Stiftung“ sowie die „Flatau-Stiftung“.
 
Gleich in einer der ersten Sitzungen berichtete eine Stiftungsrätin, dass es in Halterner Grundschulen zweierlei Pausenräume gibt: „In dem einen gibt es Essen, in dem anderen nicht. Da müssen die Kinder rein, deren Eltern das nicht bezahlen können.“ Alle waren sich einig: „In Haltern soll kein Kind vom Mittagessen in Schulen oder Kindergärten ausgeschlossen werden!“ „Kein Kind ohne Mahlzeit!“ wurde das erste eigene Projekt. Hinzu kamen ehrenamtliche Lese- und Lernpaten, pensionierte Handwerker, die mit Hauptschülern praktisch arbeiteten, FSJler, die in Seniorenheimen die individuellen Fähigkeiten der Bewohner förderten, und und und. Die Bürgerstiftung hat das Gütesiegel des Bundesverbandes, ihre Arbeit wurde mehrmals ausgezeichnet: u.a. vom Land NRW. Auch wurde sie schon in den USA als Beispiel für gute Arbeit deutscher Bürgerstiftungen vorgestellt. Bei all dem blieb die Hilfe für Mitbürger in Notlagen hier in unserer Stadt ein Schwerpunkt. Und die Hilfe wird durch die aktuelle Corona-Pandemie noch wichtiger werden.

Die Bürgerstiftung prüft jeden Antrag, hilft dann aber schnell und vertraulich. Der große Vorteil: Sie kann „nur die Situation sehen“, muss nicht noch prüfen, ob irgendwelche Ausführungsverordnungen erfüllt sind. Seit der Gründung hat sie schon mit über 400.000 Euro Mitbürgern geholfen oder sonst Gutes in Haltern gestiftet. Und weil alle Arbeit ehrenamtlich geleistet wird, wurde noch nie über 1 % von allen Einnahmen und Spenden für Verwaltungsausgaben abgezwackt!

Wesentliches Merkmal einer Bürgerstiftung ist die Unabhängigkeit. Aber Bürger, die gänzlich frei entscheiden, wo sie helfen oder was sie in der Stadt bewirken oder unterstützen? Das sorgte anfangs für Irritationen. Inzwischen sagen auch ehemalige Skeptiker: „Wie gut, dass wir eine Bürgerstiftung haben!“ 2016, zum 10jährigen Bestehen, war Bürgermeister Bodo Klimpel voll des Lobes und rief dazu auf: „Ich ermutige weitere Bürgerinnen und Bürger, sich hier einzubringen. Denn es lohnt sich.“ 
 
Bildzeile oben: Beate Mertmann (5.v.l.) - hier bei der Übergabe der Anerkennungsurkunde der Bürgerstiftung im Juni 2006 zusammen mit dem damaligen Vorstand, Stiftungsrat sowie  Regierungsvizepräsident Dr. Wirtz, leitete die Bürgerstiftung bis September 2019.


19. Oktober 2005

1. Treffen einer „Keimzelle“ zur Gründung einer Bürgerstiftung in der Gaststätte „Kolpingtreff“ am Disselhof. Die Gründung wird am selben Abend besiegelt.

3. April 2006

Informationsveranstaltung, um allen Bürger/innen der Stadt die Möglichkeit zu geben, sich zu engagieren.

15. Mai 2006

Letzter Tag zur Abgabe der schriftlichen Erklärung, die Stiftung mit zu gründen. Ergebnis: 83 Gründungsstifter stellen 250.000 Euro zur Verfügung: 246.000 Euro als Stiftungskapital, 4000 Euro für die sofortige Arbeit.

22. Mai 2006

Eine Abordnung übergibt der Bezirksregierung in Münster die Unterlagen zur Anerkennung der Bürgerstiftung.

1. Juni 2006

Das Land NRW erkennt die Bürgerstiftung Halterner für Halterner als rechtskräftig an.

16. Juni 2006

Regierungsvizepräsident Alfred Wirtz übergibt bei einer Feierstunde im Schloss Sythen dem Vorstand, dem Stiftungsrat, den Gründungs- Stiftern und einigen Gästen die Anerkennungsurkunde des Landes NRW.